Man mag es kaum glauben, doch es gab eine Zeit, in der der heute so oft verteufelte Zucker eine echte Kostbarkeit darstellte. Noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts, bis zur Entdeckung, des Rübenzuckers, musste man für fünf Kilogramm Rohrzucker noch ein Kilo Gold bezahlen. Man stelle sich das heute mal vor…
Da der süße Genuss demnach nur der Oberschicht vorbehalten war, sehnte sich auch der Rest der Bevölkerung nach einer günstigen Alternative. Die Lösung brachte – wie so oft in der Geschichte – der Zufall: Der Deutsche Chemiker Constatin Fahlberg entdeckte bei dem seinen Versuchen als Gastwissenschaftler in den USA einen Stoff, der sogar noch süßer schmeckte als der begehrte Rohrzucker. Unter dem Namen „Saccharin“ kam dieser Stoff Jahre später als „Zucker der Armen“ auf den Markt. Das Versprechen: dieser Stoff sei 450- mal so süß wie normaler Zucker und koste mit 150 Mark pro Kilo (später sogar nur noch 15 Mark) ein Bruchteil des wertvollen Rohrzuckers. Auch das Aufbegehren der preußischen Zuckerbarone und ein kurz danach erlassenes Gesetz, welches die Verwendung von künstlichen Süßstoffen in Nahrungs- und Genussmittel unter Strafe stellte, konnte den darauffolgenden Siegeszug der Süßstoffe nicht mehr stoppen. Auch wenn es erst 1902 wieder offiziell als Stoff für Diabetiker zugelassen wurde.
Erst nach dem 2. Weltkrieg bekamen die Süßstoffe den heute noch gängigen Ruf, sie seien ein Genuss ohne Reue für jeden Gesundheitsbewussten, der auch ohne Kalorien Süßes schlemmen möchte. Heutzutage sind in der EU ganze zwölf Süßstoffe als sicher eingestuft und für den Handel zugelassen worden (1). Süßstoffe stecken mitunter in Obst- und Fischkonserven, Light-Produkten, Süßigkeiten und Desserts sowie Knabberartikeln. Auch in Nahrungsergänzungsmitteln kann man sie mitunter finden.
Das Image der gesunden Zucker-Alternative wird seither heiß diskutiert. Die einen argumentieren, Süßstoffe wirkten sich nicht auf den Blutzuckerspiegel aus und sind daher ideal für Diabetiker geeignet, ferner machen sie nicht dick, da sie nahezu kalorienfrei seien und vom Körper nicht aufgenommen werden. Die anderen werfen ein, dass die Süß-Alternativen den eigentlichen Hunger nach Süßem nicht mindern, sondern eher noch anheizen und dass sie die Darmflora nachhaltig beeinflussen was zu Übergewicht und sogar Krebs führen kann.
Bereits 2014 erregte eine Studie von Jotham Suez vom Weizmann Institut in Rehovot/Israel im Fachblatt Nature Aufmerksamkeit. Die Arbeit sollte untersuchen, inwieweit Süßstoffe Diäten erleichtern und Diabetes vorbeugen. Entgegen den Erwartungen nahmen jene Mäuse, welche in der Untersuchung mit Süßstoffen gefüttert wurden an Gewicht zu. Auch ihr Blutzuckerspiegel stieg an. Die Ursache wurde hier vor allem mit der Veränderung der Zusammensetzung der Darmflora der Mäuse in Verbindung gesetzt (2).
Eine Studie von 2020 im Fachblatt „Cell Metabolism“ beschäftigte sich mit dem Konsum von Sucralose, einem Süßstoff, welcher 400 bis 700-mal süßer schmeckt als herkömmlicher Haushaltszucker. Die Forschergruppe um J R Dalenberg fand heraus, dass der Konsum von Sucralose in Kombination mit einem Kohlenhydrat die Insulin-sensitivität der Probanden verringerte. Etwas was sonst vor allem charakteristisch für Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 ist. Auch die die Empfindlichkeit gegenüber dem süßen Geschmack verringerte sich bei den Teilnehmern der Studie. Auf den Alltag übertragen könnte also der häufige Genuss eines Sucralose-haltigen Diätgetränkes in Kombination mit einer Kohlenhydrat-reichen Mahlzeit zum Anstieg des Risikos für Typ-2-Diabetes und Fettleibigkeit darstellen (3).
Die Frage, ob Süßstoffe Heißhungerattacken nach sich ziehen können, da der süße Geschmack auf der Zunge eine Zuckerzufuhr verspricht, die natürlich nicht im Gehirn ankommt, ist derzeit noch nicht final geklärt. Was man jedoch sicher sagen kann ist, dass die Behauptung „Süßstoffe schaden uns nicht, da sie vom Organismus gar nicht aufgenommen werden“ so nicht stimmt. In Versuchen mit Mäusen veränderte sich die Darmflora der Tiere nach der Gabe von Süßstoffen hin zu den „schlechten Darm-Bakterien“ die eine Gewichtszunahme und andere Stoffwechselerkrankungen begünstigen. Eine neuere Studie von Jotham Suez 2022 im Fachblatt Cell erschienen, fand eine deutliche Veränderung des Mikrobioms im Stuhl von Probanden, die über zwei Wochen hinweg Süßstoffe unterhalb der zulässigen Tagesdosis konsumiert hatten (4).
Was bleibt ist die Frage, ob der Wert der kalorienfreien Süßungsmittel als Alternative zu mit Zucker gesüßten Nahrungsmittel überwiegt, oder die potenziell negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Hier ist sich die Forschung noch nicht ganz sicher, da die Ergebnisse zu den genauen Auswirkungen von Süßstoffen und Zuckeralkoholen derzeit leider noch rar sind.
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